Zukunft der Krankenversicherung: Rosinenpickerei privater Krankenversicherer muss ein Ende haben

Ein Fachbeitrag von

vzbv fordert gerechten Wettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung

 

29.04.2006 - Ein Ende der Zweiklassengesellschaft der Krankenversicherungen und mehr Fairness zwischen den Systemen fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) im Vorfeld der Verhandlungen zur Gesundheitsreform am 1. Mai. "Die Rosinenpickerei privater Krankenversicherungen kann sich unsere Gesellschaft nicht mehr leisten", so vzbv-Vorstand Edda Müller. Mehr Wettbewerb zwischen gesetzlichen Kassen und privaten Versicherern müsse dafür sorgen, dass alle Versicherten, also auch Gesunde und Besserverdienende, in die solidarische Verantwortung einbezogen werden.

 

 

Um dieses Ziel zu erreichen wiederholte der vzbv seine Forderung nach einer "Bürgerversicherung". Weil die privaten Krankenversicherer in der Regel nur gesunde Menschen aufnehmen, gehen der gesetzlichen Krankenversicherung hohe Beitragseinnahmen und gesunde Mitglieder verloren. Zugleich haben die gesetzlichen Kassen höhere Ausgaben durch die kostenlose Mitversicherung von Familienangehörigern, wodurch selbst Gutverdiener über der Beitragsbemessungsgrenze sich für diese entscheiden. Aus dieser Misere zwischen steigenden Ausgaben und sinkenden Einnahmen erklärt sich die prekäre Situation der gesetzlichen Kassen. Sollte sich die Politik gegen eine Bürgerversicherung entscheiden, müssten laut vzbv die Wettbewerbsbedingungen gesetzlicher und privater Krankenversicherung angeglichen werden, um gleichermaßen die Finanzierung gesetzlicher Kassen und das Überleben der Privatversicherer zu gewährleisten.

 

 

Nach den Vorstellungen des vzbv:

  • soll es privaten Versicherern künftig nicht mehr erlaubt sein, die Aufnahme von Neuversicherten von einer Gesundheitsprüfung abhängig zu machen.
  • sollen die privaten Krankenversicherer zu erwartende Stornierungsgewinne nicht mehr zur Senkung der Einstiegsbeiträge heranziehen dürfen. Stattdessen sollen sie diese Gewinne voll zur Beitragsentlastung im Alter einsetzen.

Durch diese Maßnahmen würden eine Reihe positiver Effekte erzielt: Zum einen würde in der Privatversicherung das Problem der hohen Beitragsanstiege im Alter gelöst. Zudem wäre die Gefahr eines Verlustes des Versicherungsschutzes wegen angeblicher oder tatsächlicher Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen beseitigt. Auch wären die privaten Versicherer nicht länger dem Vorwurf des "Rosinenpickens" ausgesetzt. Darüber hinaus käme es nach und nach zu einer Bereinigung des Tarifchaos im Bereich der privaten Krankenversicherung.

 

 

Mogelpackung: Kontrahierungszwang für Standardtarif

Als "Mogelpackung" bezeichnet der vzbv die Überlegungen zur Einführung einer so genannten Kontrahierungspflicht privater Krankenversicherer lediglich für den Standardtarif. "Ich warne vor einer solch halbherzigen Maßnahme", so Edda Müller. "Im Neugeschäft spielt der Standardtarif keine Rolle und wäre für Personen, die der gesetzlichen Krankenversicherung den Rücken kehren wollen, vollkommen unattraktiv." Der Standarttarif ist eine Art Notbremse für die privat Krankenversicherten, die die hohen Beitragsanstiege im Alter nicht mehr verkraften können. Er ist durch abgesenkte Abrechnungsmöglichkeiten der Ärzte sowie eine Begrenzung des Beitrags auf den durchschnittlichen Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung charakterisiert. Wegen der niedrigen Honorierung von Ärzten und Zahnärzten sind die in diesem Tarif Versicherten eine Art "Patienten dritter Klasse".

 

 

Hintergrund

Die Attraktivität der Privatversicherung resultiert vor allem daraus, dass dort die Beiträge nicht wie in der Gesetzlichen Krankenversicherung von der Höhe des Gehalts bestimmt wird, sondern vor allem von der erwarteten Ausgabenbelastung für einen Durchschnittsversicherten. Ein dreißigjähriger Arbeitnehmer, dessen jahresdurchschnittliches Monatsgehalt 3.937,50 ? übersteigt, zahlt in der "Gesetzlichen" abhängig von dem Beitragssatz der jeweiligen Kasse und vom Familienstand einen Eigenanteil von ca. 300 ? pro Monat. In der "Privaten" zahlt er, sofern er kein Familie mit Kindern hat, dagegen nur die Hälfte. Insbesondere für junge besserverdienende Alleinstehende lohnt es sich also auf den ersten Blick, in die private Krankenversicherung zu wechseln.

 

Bei der Beitragskalkulation der Privaten wird allerdings unrealistisch unterstellt, dass die Gesundheitsausgaben nicht ansteigen werden. Da jedoch erfahrungsgemäß Jahr für Jahr erhebliche Kostensteigerungen stattfinden und der Leistungsbedarf mit zunehmendem Alter zunimmt, kommt es in der Privatversicherung, je älter jemand wird, zu immer stärkeren Beitragsanstiegen. Damit ist im Alter in der privaten Versicherung ein deutlich höherer Beitrag als in der gesetzlichen Kasse zu erwarten, während der Einstiegsbeitrag erheblich niedriger liegt. Durch die vom vzbv vorgeschlagenen Maßnahmen würden sich die Neugeschäftsbeiträge der privaten Versicherer deutlich erhöhen und die Altersbeiträge stark sinken - ein fairerer Wettbewerb zwischen den beiden Krankenversicherungssystemen wäre die Folge.

 

 

Wolfgang Scholl
Fachbereich 1 Finanzdienstleistungen
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv)
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Sachverständiger, Unternehmensberater, Vermögensberater
bei Vogelsang & Sachs Sachverständigen-Societät für Kapitalanlagen und private Finanzplanung in Bad Homburg